Ein Gespräch mit Yoko Ohama (Tokyo), langjährige Teilnehmerin des Kurses "Emotional Landscapes" in Bad Waldsee
IAM: Sie leben in Japan. Wie haben Sie von IAM-Kursen erfahren?
Yoko Ohama: Ich habe bis Ende 2008 in Deutschland studiert.1 Als ich nach Japan zurückgegangen bin, habe ich Deutschland vermisst. Ein Musikfreund hat mich angesprochen – er war der älteste Hase überhaupt beim Workshop in Bad Waldsee – und mir diesen Workshop sehr empfohlen.2 Ich bin dorthin gekommen und der Ort hat mir sehr gefallen. Daher bin ich geblieben.
IAM: Wie viele Jahre haben Sie am Workshop in Bad Waldsee teilgenommen?
Y. O.: Zum ersten Mal habe ich den Workshop 2013 besucht; insgesamt war ich sieben Mal dort. Dann kam die Coronazeit und ich musste pausieren. Letzten Sommer war ich endlich wieder dort. Ich habe drei Jahre Pause gemacht und freue mich auf den Kurs im August.
IAM: Können Sie sich noch erinnern, mit welchen Gefühlen Sie in den Kurs gestartet sind?
Y. O.: Ich war sehr nervös, ich hatte nur diesen einen Freund; aber ich fühlte gleich: Ich werde akzeptiert und ich bin integriert. Im Vergleich zum Studium sind die Leute erfahrener. Sie sind erwachsen. Die Atmosphäre war locker und warmherzig und man hat ein Urlaubsgefühl und auch das Gefühl, dass man sich wiedertrifft. Das war wie so ein Klassentreffen.
IAM: Sind die Dozenten denn die gleichen geblieben?
Y. O.: Bis 2018 war das Team immer das gleiche, dann haben die drei aufgehört.3 Im Jahr 2018 war das 20. Jubiläum und der letzte Workshop mit diesem Team. Dann kam ein vorläufiges Team, das war 2019; soweit ich weiß, gibt es das neue Team von Jan und Lena seit 2022. Ich konnte damals nicht teilnehmen und für mich war der Workshop 2023 der erste mit Jan und Lena.
IAM: Welcher Moment ist besonders aufregend bei einem Kurs?
Y. O.: (lacht) Aufregend? Natürlich ist die aufregendste Zeit immer beim Konzert. Aber es gibt auch andere Momente, die sehr aufregend sind.
Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, aber ich wollte im See schwimmen und das habe ich immer wieder gemacht. Das ist nicht üblich in Japan. Ich glaube es war 2018 oder 2017, da bin ich zum ersten Mal in der Nacht im See geschwommen, und sogar nackt, mit anderen 15 Teilnehmern. Das war vielleicht der aufregendste Moment. Aber das hat nicht mit dem Workshop an sich zu tun, sondern ist eine Nebensache.
IAM: Gab es Ensemblearbeit, zu der Sie sich abends noch treffen?
Y. O.: Also, die Art und Weise zu arbeiten, ist in Deutschland etwas anders als in Japan. Ich war auch in Japan musikalisch tätig und in mehreren Chören. Wie man sich benimmt ist anders, wie man die Musik einstudiert ist anders, und die Übung mit Ensemblestücken, die ist auch anders. Am Anfang war ich etwas verwirrt oder überrascht. Aber ich habe ein bisschen Erfahrung in Mainz gesammelt und hatte dort im Chor gesungen. Daher kann ich sagen, beides ist gut. Die japanische Art ist gut; die deutsche Art und Weise ist (überlegt) für mich sehr ‚deutsch‘.
IAM: Können sie das genauer sagen?
Y. O.: In Japan habe ich das Gefühl, dass der Dirigent, ein Chorleiter oder eine Chorleiterin, auf einem höheren Niveau steht und wir hören dieser Person zu und versuchen etwas Gemeinsames zustande zu bringen. In Deutschland findet immer eine Diskussion statt. Das ganze Team diskutiert und diskutiert. Das finde ich (lacht) ‚deutsch‘.
IAM: Es dauert alles länger dann.
Y. O.: Jetzt finde ich das schön. Am Anfang war ich ein bisschen verwirrt und konnte dazu nichts sagen. Jetzt kann ich dazu etwas sagen.
IAM: Gibt es noch andere Sachen, die anders sind, was das Musikmachen angeht?
Y. O.: (überlegt) Ja, das liegt vielleicht daran, dass wir sehr konzentriert üben – wir haben nur eine Woche Zeit. Wir konzentrieren uns gut, aber wir brauchen auch eine Pause; wir können nicht den ganzen Tag arbeiten. Was mir an diesem Workshop gut gefällt, sind auch die Pausen. Wir können zusammen Eis essen – das ist auch sehr ‚deutsch‘ – und schwimmen oder einkaufen; vielleicht weil das so ein Workshop mit Urlaubsgefühl ist. Man braucht ein bisschen Zeit, um etwas zu genießen. Und dieses Gefühl ist auch nötig, um schön oder entspannt zu musizieren.
IAM: Gibt es ähnliche Kurse auch in Japan?
Y. O.: Es gibt ähnliche Kurse, aber sie sind eher für Musikstudenten. Es ist überhaupt schwierig, in Japan eine Woche Urlaub zu nehmen. In Deutschland kann man einen langen Urlaub machen und das geht in Japan einfach nicht. Ich finde das schade und deshalb erzähle ich von diesem wunderschönen Workshop niemandem. Weil das zu schön ist für Japaner und die Leute würden mich beneiden (lacht). Also, ich sage immer nur: Ich muss zur Weiterbildung. Und was ich genau mache, erzähle ich nicht.
IAM: An welchen Dozent oder welche Dozentin werden Sie sich immer gerne erinnern?
Y. O.: Weil ich sieben Jahre beim alten Team war, habe ich sehr schöne Erinnerungen an dieses Team. Aber Jan und Lena sind auch sehr gut. Ich kann die zwei Teams nicht vergleichen. Beide sind anders, vom Alter her, vom Stil her. Ich kann nicht sagen, welches Team besser ist. Von beiden kann ich sehr viel lernen.
IAM: Gibt es ähnliche Jazz-Chöre in Japan? Gibt es Unterschiede im Repertoire im Vergleich zu den Chören, in denen Sie in Japan singen?
Y. O.: Ich hatte in Japan keinen Bezug zu Jazz-Chor. Ich kenne nur klassische Chöre. Es muss solche Chöre geben, aber ich kenne sie nicht.
IAM: Gibt es in Bad Waldsee ein besonderes musikalisches Erlebnis, an das Sie sich erinnern können?
Y. O.: Das Konzert ist immer am schönsten und während des Auftrittes kann ich mich schon an die zu Ende gehende Woche erinnern. Ich bin immer begeistert, egal ob irgendein ‚Unfall‘ während der Aufführung passiert. Wir gehen einfach durch und am Ende feiern wir zusammen und versprechen uns, dass wir uns im nächsten Sommer wiedersehen. Diese letzte Zeit ist natürlich am schönsten.
IAM: Also haben sich durch den Kurs auch Kontakte und Freundschaften ergeben?
Y. O.: Ja, viele. Also, ich habe jetzt viele Musikfreunde überall in Deutschland. Während des Musikstudiums hatte ich nur in Mainz Freunde, oder dort, wo ich gewohnt habe. Ich kann vor oder nach dem Workshop Freunde besuchen. Meine beste Freundin kann leider diesmal nicht kommen, weil sie in Baden Württemberg lebt und noch keine Ferien hat – sie ist Lehrerin. Sie ist meine beste Freundin in Deutschland und ich darf bei ihr jede Menge übernachten.
Noch ein Freund ist derjenige, der mit mir im Jahr 2013 angefangen hat. Wir verstehen uns sehr gut und ich freue mich immer, wenn ich ihn wiedersehe. Wir unterhalten uns nach dem Workshop oder während des Workshops, das ist immer schön. Wenn man studiert, dann hat man die Freundschaften nur ein paar Jahre. Aber wenn man in Bad Waldsee ist, kann man die Leute immer wieder sehen und das finde ich total schön.
IAM: Ich wollte noch nachfragen, was Sie in Manz studiert haben.
Y. O.: Ich habe Musikwissenschaft, Kulturanthropologie und vergleichende Sprachwissenschaft studiert; aber davor habe ich in Japan Gesang studiert, klassische Musik. Und Jazzchor ist für mich neu und ich lerne eine neue Musik, einen neuen Stil kennen.
IAM: Wenn Sie im Zusammenhang mit dem IAM-Jubiläum einen Wunsch frei hätte, welcher könnte das sein?
Y. O.: Dass der IAM noch 100 Jahre weiterlebt.
IAM: Welches besondere Potenzial hat Musik?
Y. O.: Das ist einfach: Musik verbindet die Menschen auf der ganzen Welt und Musik macht jung.
IAM: Ich danke ihnen vielmals für das schöne Gespräch. (Das Gespräch führte Gabriela Lendle, die es auch aufgezeichnet hat.)
1 Yoko Ohama studierte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
2 Es handelt sich um den Kurs Emotional Landscapes. Moderne Chorarbeit in Pop und Jazz, der jährlich im Sommer in Bad Waldsee stattfindet.
3 Die drei Dozent*innen des Kurses bis zum Jahr 2018 waren Stephan Süß, Maren Böll und Annemie Missinne. Im Jahr 2019 fand der Kurs unter den Dozentinnen Eva Beißwenger und Susanne Turowsky-Karácsonyi statt. Seit 2020 leiten Jan-Hendrik Herrmann und Lena Sundermeyer den Kurs.