Viele Seiten – ein Klang

Blockflötenkurse im Wandel der Zeit

Wir treffen Irmgard Scholz, Dozentin und langjährige Teilnehmerin an IAM-Kursen während des laufenden Kurses Sommerklänge mit Blockflöten in Freckenhorst/Warendorf

IAM: Wie sind Sie zum IAM gekommen?

Irmgard Scholz: Ich bin ja von Beruf Lehrerin, habe ein Schulorchester geleitet und Schüler auf IAM- und AMJ1-Kurse aufmerksam gemacht. Für mich selbst sah ich diese Kurse gar nicht in Frage kommend, aber eine Kollegin, die mich bei der Probenarbeit unterstützte, hat mich ermutigt mitzukommen. Sie hatte in Bündheim im Harz einen Kurs bei Fritz Behn besucht2 und wir sind im folgenden Jahr gemeinsam dorthin gefahren. Das müsste 1983 oder 1984 gewesen sein. Es war der letzte Kurs, der dort stattfand. Soll ich ein bisschen davon erzählen?

IAM: Gerne!

I. S.: Es waren lauter Erwachsene, die daran teilnahmen. Fritz Behn, der den Kurs zusammen mit Waltraud Boßert (Wally) leitete, war ein altgedienter Flötist und Blockflötenlehrer, der sehr viele Kurse gemacht und viele Personen geprägt hat; ein sehr verdienter Herr – eine Persönlichkeit.
Meine Kollegin hatte mich schon darauf vorbereitet, dass alle neuen Teilnehmenden – egal welcher Vorbildung – von Fritz Behn am Vormittag in einer Morgenrunde zusammengefasst wurden. Diese begann am ersten Tag damit, dass man einen Notenständer aufstellen musste. Das muss man sich einmal vorstellen: Man hatte mit seinem Notenständer im zusammengepackten Zustand anzukommen, und dann hat Fritz Behn erklärt, wie man diesen Notenständer aufbaut und wieder zusammenlegt, ohne ihn zu verbiegen. Das wurde richtig geübt. Für den einen oder anderen Teilnehmer mag das erhellend gewesen sein. Für mich war es ausgesprochen komisch, weil ich ja von Berufswegen die Schüler dabei beaufsichtigte. Nun saß ich brav da und übte und ‚lernte‘ das. Das war eine Besonderheit von Fritz Behn; über diese Situation ‚Notenständer‘ wurde immer wieder gesprochen.

IAM: Haben Sie anschließend weitere Kurse für Blockflöte besucht?


I. S.: Ja, das tat ich im Jahr darauf. Der Kurs fand nachfolgend im Volksbildungsheim Waldhof in Freiburg statt. Es war ein Kurs für 40 bis 44 Teilnehmer, den Fritz Behn zusammen mit Lieselotte (Lilo) Beul – auch eine Persönlichkeit – und zwei anderen Referentinnen gehalten hat. Am Abend spielten wir im Plenum, tagsüber waren wir in verschiedene Gruppen eingeteilt. Im Jahr darauf war ich auch wieder in diesem Kurs und bin dort offensichtlich aufgefallen, denn während dieses Kurses wurde ich gefragt, ob ich ins Team einsteigen würde. Ich habe dann mehrere Jahre dort mitgearbeitet.

Ich habe diverse Kurse beim IAM besucht; unter anderem einen schönen Kurs im Kloster Schöntal mit Jürgen Klenk. Dort wäre ich gerne öfter hingefahren, aber das ging aus zeitlichen Gründen nicht. Ich erinnere mich an einen Blockflötenkurs mit Gisela Darda-Lang; dort ging es um neue Notation und modernes Spiel, was sonst in den Kursen nicht vorkam. Später, als der IAM nach Bramsche gezogen ist, gab es einen Kurs zu Alexandertechnik für Musiker. Daran erinnere ich mich auch gerne.

IAM: So etwas gab es auch?

I. S.: Genau, so etwas gab es auch! Es gab auch – leider nur ein Mal – einen Kurs mit Holger Schäfer an der niederländischen Grenze, bei dem verschiedene technische Dinge des Flötenspiels vorgestellt und geübt wurden, so dass jemand, der vielleicht noch nicht so fortgeschritten ist, einen großen Überblick bekam, womit man sich beschäftigen konnte. Ich fand diesen Kurs, obwohl mir vieles bekannt war, sehr informativ und bereichernd und war ganz enttäuscht, weil er keine Fortsetzung fand.

IAM:
Gab es vereinzelt Kurse mit zeitgenössischer Musik?


I. S.:
Bezogen auf die Blockflöte muss ich Nein sagen. Bei Gisela Darda-Lang war das etwas ganz Spezielles. Aber da Sie die Literatur ansprechen: Bei Fritz Behn endete die Literatur in den 1950er Jahren; bei allem, was im guten Sinne ‚Spielmusik‘ war. Als ich als Dozentin einstieg, wusste ich noch nicht, dass er dort innerlich Schluss gemacht hatte. Das wusste ich einfach nicht. Ich brachte das mit, was ich gerne unterrichten wollte, und von ihm gab es dann erst einmal eine Sperre.

IAM: Was war das, was Sie unterrichten wollten?

I. S.: Das war etwas von Staeps.3 Um welches Werk es sich handelte, weiß ich nicht mehr, weil ich mehrere Sachen von ihm gemacht habe. Fritz sagte damals: „Das ist viel zu schwer!“ Ich sagte: „Das ist schwer, das weiß ich.“ Aber ich glaube, er kannte das Stück gar nicht. Ich sagte: „Ich arbeite berufsmäßig mit Anfängern und habe mir überlegt, welche Vorübungen ich mache. Ich weiß, ich kriege das hin – keine Frage.“ Er wollte mich bremsen und ich habe überlegt, was in meinem Vertrag steht. Darin stand irgendetwas von „eigenverantwortlicher“ Mitarbeit. So sagte ich: „Fritz, ich mache einen Vorschlag. Ich mache das am Montag, und danach sprechen wir weiter.“ Ich habe das Stück einstudiert und er ist nicht mehr darauf eingegangen. Im nächsten Jahr hatte Frau Beul auch entsprechende Literatur dabei; so ist das zeitgenössische Repertoire langsam dazugewachsen.
Ich habe ja viele Kurse bei Manfred Harras besucht und er hat zunehmend immer mehr zeitgenössische Musik hinzugenommen; Musik lebender Komponisten aus England oder den USA, sogar Auftragswerke, denn er hat mehrfach Komponisten gebeten, etwas für den Sommerkurs zu schreiben.
Auch heute, bei unserem gerade laufenden Kurs unter der Leitung der Dozentin Annette John haben wir ein Werk eines lebenden Bremer Komponisten einstudiert.4

IAM: Sie haben ja mit großer Regelmäßigkeit den Sommerkurs für Blockflötist*innen bei Herrn Harras besucht. Hat sich dieser Kurs im Lauf der Jahre verändert?

I. S.: In den letzten Jahren hat sich der Kurs in seiner Zusammensetzung verändert. Über lange Jahre gab es so etwas wie einen festen Kern an Teilnehmenden, vor allem aus Hamburg. Dort gab es eine Flötenlehrerin, die Ensembles leitete und sehr geschickt einzelne Teilnehmerinnen, die sie für geeignet hielt, zum Kurs gebracht hat. Diese waren sehr gut integriert und ein wichtiger Träger des Ganzen. Zum Teil waren sie älter als ich – ich bin 77 Jahre alt.  Sie sind jetzt über achtzig und sehen sich nicht mehr in der Lage, am Kurs teilzunehmen. Über viele Jahre hinweg war also die Kurszusammensetzung relativ stabil gewesen. Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Die Zusammensetzung ist lockerer geworden. Also, ich bin natürlich eine uralte Teilnehmerin.

IAM: Es gibt also mehr neue Mitglieder.


I. S.: Ja, es gibt mehr Fluktuation.

IAM: Was ist der aufregendste Moment bei einem Kurs?

I. S.: Wenn man neu kommt, der Anfang. Für mich gibt es keinen aufregendsten Moment mehr, weil ich den äußeren Ablauf, viele Dozenten und viele Häuser kenne. Es ist also nichts richtig neu. Aber sonst: Wer ist da? Was können die Teilnehmenden? Wie ist das Niveau? Wie reagiert der Dozent oder die Dozentin? Kann ich mich da hineinfinden? Auch: Welche Flöten werden gebraucht? Vielleicht sage ich dazu noch etwas: Als ich bei meinem ersten IAM-Kurs war, hatte ich keine Bassflöte. Ich konnte nicht Bassflöte spielen und es war auch nicht unbedingt erforderlich – von Großbass und Subbass war damals noch gar nicht die Rede. Zwei Jahre später war auch ich mit einer Bassflöte ausgerüstet.
Bei den Kursen, die ich besuche und die keine Anfängerkurse sind, ist das Beherrschen des gesamte Blockflötenquartetts mittlerweile die Norm. Inzwischen ist es auch die Regel, dass Groß- und Subbass dabei sind. Im Waldhof waren wir damals froh, wenn wir unter den 40 Teilnehmenden zwei Subbässe hatten. Im derzeit laufenden Kurs haben wir bei neun Teilnehmenden drei Subbässe und 3 oder 4 Großbässe. Das Niveau hat sich, nach meinem Dafürhalten, insgesamt gesteigert. Die Fähigkeit, vom Blatt zu spielen, ist besser als in den 1980er Jahren. Die Teilnehmenden spielen heute auch viel selbstverständlicher aus Partituren. Das war früher kaum üblich und auch vom Notenmaterial her nicht vorgesehen. Heute ist das fast Standard: Ob Alte Musik oder neueste Musik – es wird heute lieber aus Partituren gespielt als aus einzelnen Stimmen.

IAM: Gibt es bei den Kursen ein Abschlusskonzert?

I. S.: Das ist unterschiedlich: Bei Fritz Behn gab es kein Abschlusskonzert, aber es gab immer einen großen ‚Bunten Abend‘, bei dem alles Mögliche aufgeführt wurde: Es wurde gesungen und Sketche aufgeführt. Ich habe aber auch IAM-Kurse mitgemacht, bei denen es eine Art Abschlussmusizieren gab, z. B. bei Manfred Harras in der Hegge.5 Das lag allerdings auch an dem Ort, denn der Kurs fand in dem Bildungshaus einer benediktinischen Frauengemeinschaft statt. Am letzten Kurstag gab es dort fast immer einen Gottesdienst, eine Vesper, zu der die Nachbarschaft eingeladen wurde. Bei dieser Vesper haben wir einige unserer einstudierten Werke gespielt. Vier von uns haben auch jeweils die Choräle begleitet. Das hat sich so ergeben; denn es hatte zunächst eine von den Damen der dort lebenden Gemeinschaft die Orgel gespielt, und als sie einmal verhindert war und niemand für sie an der Orgel einspringen wollte, sagte ich: „Geben Sie uns doch die Noten aus dem Orgelbuch; die können wir mit unseren Instrumenten spielen.“ So haben wir mit unseren großen Flöten die Choräle begleitet.
Bei dem jetzigen Kurs gibt es ein internes Abschlusskonzert für uns selbst; ebenso ist es auch bei dem Kurs in Hammelburg.6

IAM: An welchen Dozenten, welche Dozentin werden Sie sich immer gerne erinnern?

I. S.: Fritz Behn habe ich ja schon erwähnt. Mit Lilo Beul hatte ich eine sehr gute menschliche Beziehung, eine kollegiale Beziehung. Manfred Harras habe ich auf einer Dozententagung kennengelernt; auch das war auf einer kollegialen Ebene und ist eine gute Beziehung. Ich spreche jetzt einmal über Frau John, die damals im Kloster Vinnenberg den Kurs samt der ganzen Literatur von zwei Damen übernommen hat, die zu Beginn der Coronazeit ganz kurzfristig abgesprungen waren. Das war bewundernswert! Frau John schätze ich musikalisch sehr; methodisch-didaktisch ist sie ganz fantastisch und außerdem noch warmherzig. Ich bleibe jetzt einmal bei diesen vier Personen. Ich könnte bei Jürgen Klenk weitermachen, oder bei Hans Jaskulsky bei der chor.com.7 Dort habe ich mitgesungen, als er eine  große Aufführung geleitet hat. Damals haben wir ein vierchöriges Stück von Heinrich Schütz gesungen. Das hat mich sehr gereizt und war etwas Besonderes.

IAM: Haben sich für Sie bei den Kursen Kontakte oder Freundschaften ergeben?

I. S.: Ja, es haben sich über Jahrzehnte Kontakte zu Teilnehmern und Teilnehmerinnen ergeben. Ich sprach schon von der Hamburger Musiklehrerin, die ich 1998 kennengelernt habe. Voriges Jahr haben wir noch telefoniert und immer wieder miteinander korrespondiert. Eine andere der Hamburger Teilnehmerinnen ist vor zwei Jahren verstorben. Bis kurz vor ihrem Tod standen wir in Kontakt. Mit Lilo Beul und mit Fritz Behn, der Dozentin und dem Dozenten, hatte ich brieflich Kontakt bis jeweils zu ihrem Tode.

IAM: Was nehmen Sie von so einem Kurs in Ihren Alltag mit?

I. S.: Freude! Ich persönlich nehme weniger musikalische Anregungen oder Übemethoden mit – die gibt es, ganz klar, und ich nehme manche Kursunterlagen ab und zu als Übungsvorschlag; aber ich bin allmählich ‚aus dem Alter heraus‘. Ansonsten: Vorfreude auf den nächsten Kurs.

IAM: Wenn Sie zum IAM-Jubiläum einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?

I. S.: Mein Wunsch ist bereits erfüllt worden: Ich werde zum Jubiläumswochenende des IAM kommen! (lacht) Ich hatte im Jahresprospekt nichts Entsprechendes gefunden, so dass ich in der Geschäftsstelle nachgefragt und mit dem Generalsekretär, Herrn Koch, gesprochen habe. Ich bin jetzt rund 40 Jahre Mitglied und habe eine lange Verbindung zum IAM. So konnte ich mich anmelden, wählte Chorsingen oder Blockflötenspiel und habe gleich dazugesagt: Ihr könnt mich dort einteilen, wo es von der Sache her passend ist. Dadurch ist mein Wunsch schon erfüllt.

IAM: Und für den IAM, haben Sie da einen Wunsch?

I. S.:
Ich hoffe, dass der IAM gut weitermachen kann: Von Seiten der Dozenten, des Geldes und auch vom Zuspruch der Teilnehmenden her.

IAM: Welches besondere Potential hat Musik?

I. S.:
Musik ist auf jeden Fall verbindend. Das wird schon deutlich, wenn neue Teilnehmer in eine Gruppe kommen, in der sich die anderen schon kennen. Dieses Kennenlernen ist in der Regel sehr unproblematisch. Ich weiß, dass es unter Musikern viel Konkurrenz gibt. Das erlebe ich bei den IAM-Kursen nicht. Musik hebt den Mut, ist Vertrauen erweckend, Fertigkeiten weckend und stärkt das Selbstvertrauen. Ich denke an eine Mitspielerin, die sehr wenig Selbstbewusstsein hatte; wir haben oft darüber gesprochen. Einmal sagte ich: „Man hört an deinem Ton, wie du selbstbewusster geworden bist, es selbstverständlicher machst.“ Meiner Wahrnehmung nach kann ich Derartiges auch innerhalb von so einer Woche bei einzelnen Personen und auch an mir selbst feststellen.

IAM: Ich danke Ihnen ganz herzlich für das schöne Gespräch (das von Gabriela Lendle geführt und aufgezeichnet wurde).

1 Der Arbeitskreis Musik in der Jugend (AMJ) ist Kooperationspartner des IAM und bietet ein ähnliches Angebot an Kursen und Fortbildungen an.
2 Es handelt sich um den Kurs Musizieren mit Blockflöten, der seit 1982 unter der Leitung von Fritz Behn stattfand.
3 Hans Ulrich Staeps (1909-1988).
4 Es handelt sich um den aus Argentinien stammenden, in Bremen und Köln lebenden Komponisten und Pianisten Juan María Solare (geb. 1966).
5 „Die Hegge“ ist ein christliches Bildungswerk in Willebadessen.
6 Der Kurs Blockflöte pur (aktuelle Kursbezeichnung: Blockflötenensemblemusik aus fünf Jahrhunderten) findet seit dem Jahr 2019 in Hammelburg (Bayern) unter der Leitung von Silke Wallach und Andrea Rother statt.
7 Die Chormesse chor.com besteht seit dem Jahr 2011, fand zunächst in Dortmund und findet seit 2019 in Hannover statt. Alle zwei Jahre werden dort eine Fülle von Veranstaltungen (150 bis 200 Workshops) rund ums Chorsingen und -leiten angeboten.