Viele Seiten – ein Klang

Vom pausenlosen Jammen und einer Hausordnung als Improvisationsgrundlage

Hannah Zimni berichtet von Ihren Erfahrungen auf dem Songwriting-Kurs

IAM: In welchen Jahren haben Sie den Songwriting-Kurs1 des IAM besucht?

Hannah Zimni: Ich habe 2019 meinen ersten Kurs besucht. Jetzt muss ich einmal überlegen: 2019, „Diese Welt“, 2020, „Nicht ganz ungeil“, 2021 „Talk to me“, dann war wegen Corona ein Jahr kein Kurs und 2023 war ich nicht dabei, weil ich Abitur gemacht habe. Dieses Jahr habe ich mich für meinen letzten Kurs angemeldet.

IAM: Gibt es da eine Altersgrenze?

H. Z.: Eigentlich schon, bis 16 steht im Jahresprogramm, glaube ich, drin.2 Ich bin jetzt 20, aber ich habe die Dozenten gefragt und sie sind vollkommen fine damit. Wir kennen uns ja schon seit 2019 (lacht).

IAM: Können Sie sich noch an den ersten Gedanken erinnern, warum Sie den Kurs besuchen wollten oder mit welchen Gefühlen Sie gestartet sind?

H. Z.: Meine Mutter hatte mich dort angemeldet. Sie hatte die Idee, dass mich der Workshop interessieren könnte – meine ganze Familie ist musikalisch. Ich weiß noch, dass ich alleine hingegangen bin; ich kannte niemanden, deswegen war ich auf jeden Fall ein bisschen aufgeregt. Wir haben eine Fahrgemeinschaft mit Marius aus Hagen am Teutoburger Wald gebildet, sind zusammen hingefahren und dann hat sich so eine riesige Freundschaft entwickelt – mittlerweile auch eine Partnerschaft.

IAM: Das wäre schon eine meiner nächsten Fragen gewesen, ob sich für Sie Kontakte oder sogar Freundschaften ergeben haben.

H. Z.: Ja, auf jeden Fall – die haben auch einen sehr großen Einfluss auf mein Leben gehabt.

IAM: Gibt es denn einen typischen Ablauf des Songwriting-Kurses? Wie kann man sich das vorstellen?

H. Z.: Meistens fängt es damit an, dass wir uns zum Abendbrot treffen, uns am Ort erst einmal kennenlernen, ein paar Spiele spielen – Rhythmusspiele, eben ganz viel mit Musik. Man richtet sich im Probenraum ein; die Sänger, das Schlagzeug und alle weiteren bauen ihre Sachen auf und kommen natürlich auch schon ins Gespräch: Was spielst du? Was machst du sonst noch so? Dann gibt es die Zimmeraufteilung, meistens Zweierzimmer. Man konnte bei der Anmeldung angeben, ob man lieber ein Zweierzimmer oder ein Einzelzimmer haben möchte – ich habe aber noch keinen erlebt, der ein Einzelzimmer haben wollte. Dann geht es erst einmal ans Eingrooven; darum, dass man bekanntere Popsongs zusammenspielt und überhaupt zusammen Musik macht – man hat sich ja meistens noch nicht gesehen. Allerdings war die Gruppe aus 2019 im Jahr 2020 eigentlich noch genauso wieder da, mit ein paar Hinzukömmlingen. Nach dem Eingrooven fängt das Texten an. Es gibt die ersten Textideen, worüber man überhaupt schreiben möchte; vielleicht auch, welches Genre man machen möchte.

IAM: Also, da haben Sie keine Vorgaben?

H. Z.: Nein, überhaupt nicht. Franzi und Fabian3 unterstützen uns ganz viel mit Ideen; sie probieren ganz viel aus und sind offen für alles.

IAM: Die Dozenten haben also eher eine begleitende, unterstützende Funktion. Gibt es denn auch Arbeitsschritte, die die Dozenten alleine machen?

H. Z.: Nee – allenfalls, wenn es darum geht, eine Location für das Video zu organisieren.

IAM: Auch das Produzieren wird von Ihnen gemacht?

H. Z.: Nein, das Produzieren liegt aber auch nicht in der Hand der Dozenten, sondern bei anderen Personen, mit denen die Dozenten zusammenarbeiten.

IAM: Am Schluss kommt dann eine Videoproduktion zustande?

H. Z.: Genau. Das Video wird von einem weiteren Profi erstellt; ebenso die Tonaufnahme.

IAM: Wie finden Sie Ideen, wenn Sie das erste Mal zusammensitzen und sich vielleicht noch nicht alle kennen? Gibt es manchmal auch Momente, wo man irgendwie nicht weiter kommt oder sich nicht einigen kann?

H. Z.: Ja, schon. Letztes Jahr hatte ich eine Schreibblockade. Ich hatte das Gefühl, jede Idee, die kommt, ist nicht so ‚meine‘. Aber bevor es an die Kleinigkeiten geht, haben wir ja ein Oberthema: Wollen wir über Corona schreiben? Wollen wir über Liebe schreiben? Wenn wir ungefähr eingegrenzt haben, worüber wir schreiben möchten, dann kommen die kleineren Ausformulierungen, Textideen, vielleicht auch nur ein Wort. So kommt man als Gruppe – man ist ja zu zehnt oder so – ganz gut klar.

IAM: Ist der Prozess in der Gruppe erst einmal quasi ‚am Schreibtisch‘ oder haben Sie die Instrumente immer schon dabei?

H. Z.: Unser Hauptraum ist immer der Probenraum; dort, wo die Musik gespielt wird. Da kann man mal eben etwas ausprobieren. Wir können uns auch oft zurückziehen, so eine halbe Stunde bis Stunde, und einfach schreiben.

IAM: Wie wichtig ist es für so ein gemeinsames Arbeiten, dass die Chemie zwischen den Teilnehmer*innen stimmt?

H. Z.: Wichtig ist das natürlich, damit es auch in der Freizeit superschön wird. Denn wir arbeiten ja nicht nur den ganzen Tag. Beim letzten Workshop habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr ganz in die Gruppe reinpasse. Ich bin ja auch vier Jahre älter als die meisten Teilnehmer. Das ist dann halt so. Ich glaube, wenn man erwachsen genug ist, das zu erkennen, dann ist das auch gar nicht schlimm.

IAM: Können Sie sich an einen besonders lustigen oder auch abenteuerlichen Moment in den Jahren erinnern?

H. Z.: Besonders lustig sind immer die Spieleabende. Franzi hat immer eine riesige Tasche mit Gesellschaftsspielen dabei und es haben sich über die Jahre ganz viele Insider entwickelt, ganz viele Witze. Wir spielen eigentlich jedes Jahr mindestens einmal „Ligretto“. Das macht immer superviel Spaß.

IAM: An welches musikalische Erlebnis denken Sie gerne zurück?

H. Z.: Das sind so viele…Jeder Workshop hat seine eigenen coolen Sachen. Bei dem ersten englischen Workshop – die ersten beiden Workshops waren auf Deutsch, danach haben wir angefangen, auf Englisch zu schreiben, weil zum Glück eine Muttersprachlerin dabei war –, das war der Song „Talk to me“, haben wir im Probenraum fast ohne Pause Musik gemacht. Wir haben gejammt und gespielt; wir haben Instrumente getauscht, ich habe aus irgendeinem Grund Bass gespielt…

IAM: Was spielen Sie normalerweise?

H. Z.: Eigentlich singe ich. Ich kann ein bisschen Klavier spielen, aber damals habe ich auch Bass gespielt; ich habe Querflöte ausprobiert, ich habe Schlagzeug ausprobiert, eigentlich alles. Als wir auf die Zimmer gegangen sind, hat Marius seine Cajon mitgenommen, ein anderer Teilnehmer hatte seine Akustikgitarre dabei und dann haben wir dort weitergespielt. Das war eine Woche voller Musik und das war so schön.

IAM: Das glaube ich! Was haben Sie von den Kursen in ihren Alltag mitgenommen?

H. Z.: Abgesehen von meinem Partner habe ich natürlich auch viel Erfahrung mitgenommen, bei der performance zum Beispiel oder wenn es darum geht, ein bisschen lockerer zu werden, weil man dort ja erst einmal vor einer fremden Gruppe singen muss. Man macht am Anfang eine kleine Runde mit Improvisation. Von den Kennenlernspielen versuche ich bei meiner jetzigen Tätigkeit etwas einzuarbeiten4 und möchte das auch später tun, wenn ich Grundschullehrerin werde.

IAM: Was machen die Dozenten, um vielleicht eine Anfangshemmung abzubauen? Gibt es bestimmte Rituale?

H. Z.: Rituale gibt es nicht. Franzi hat eigentlich immer etwas Neues dabei. Ich erinnere mich so gerne an den zweiten Workshop. Damals hat Franzi von dem Haus, in dem wir waren, einfach ein Regelblatt genommen – irgendetwas mit ein paar Paragraphen darauf. Das hat sie uns, den Sängern, gegeben. Dann hat sie den Instrumentalisten eine Akkordfolge gegeben und den Sängern gesagt: „So, diesen Text, da improvisiert ihr drüber! Okay?“ (lacht). Daraus entstand tatsächlich die Hauptmelodie für unseren Song!

IAM: Also, man ist dann eigentlich sofort mittendrin.

H. Z.: Genau!

IAM: Wenn Sie im Kontext des IAM-Jubiläums, wir feiern ja jetzt 100-jähriges Jubiläum, einen Wunsch frei hätten, wie könnte der heißen?

H. Z.: Ich bin ja jetzt bald Studentin – ich würde vielleicht noch einmal zum Workshop mitfahren, mit ein bisschen weniger Geld. Die jetzigen Kosten waren an der Grenze, die ich stemmen konnte.

IAM: Okay, das ist auf jeden Fall ein wichtiger Hinweis. Noch ganz zum Schluss: Welches besondere Potenzial hat Musik, und wie kann das in IAM-Kursen zur Geltung kommen?

H. Z.: Musik verbindet! Ganz eindeutig. Das ist eine so schöne, tolle Sache – diese Woche, in der wir einfach nur gejammt haben, mit Leuten, die ich ja gar nicht kannte: Man spielt zusammen und ist verbunden auf einer Ebene…da ist alles andere egal, wo du herkommst, was du machst, wie viel Geld du hast, warum nicht, warum doch. Du machst Musik, es klingt geil und das macht Spaß.

(Das Gespräch wurden von Gabriela Lendle geführt und aufgezeichnet.)

1 Der Songwriting-Kurs des IAM Aus dem Nichts zum eigenen Song! findet jährlich im Sommer statt und wird aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes gefördert.
2 Der Kurs ist für Instrumentalist*innen und Sänger*innen zwischen 13 und 17 Jahren gedacht.
3 Es handelt sich um die beiden Kursdozenten Franziska Apel und Fabian Wege.
4 Derzeit macht Hannah Zimni ein FSJ an der Osnabrücker Grundschule am Heiligenweg.