Viele Seiten – ein Klang

"…wenn man abends anfängt, zu selbstgemachter Musik zu tanzen…“

Die Geschwister Emily und Oscar Morris-Spaeth geben einen Einblick in ihre Erfahrungen auf den Orchesterwochen in Bonlanden, Eschwege und Buchenau, die sie seit ihrer Kindheit besucht haben.

IAM: Seit wann haben Sie beide Kurse beim IAM besucht?

Emily Morris-Spaeth: Mein erster Kurs war 2012, damals war ich 9 Jahre alt. Danach war ich fast jedes Jahr dort, bis heute.

Oscar Morris-Spaeth: Ich habe die Kurse seit 2015 besucht und seitdem fast jedes Jahr.

IAM: Welche Kurse waren das?


E. M.-S.: Ich habe mit Bonlanden angefangen, dann Eschwege besucht und jetzt Buchenau.1 Auch dieses Jahr sind wir beide dort hin gefahren.

IAM: Dann haben Sie ja drei Schüler- oder Jugend-Musikwochen kennengelernt. Können Sie sich noch an den ersten Gedanken erinnern, warum Sie so eine Musikwoche besuchen wollten?

E. M.-S.: Eine Freundin, die Bratsche spielt, hat mich motiviert, nach Bonlanden mitzukommen. Ich spiele ebenfalls Bratsche und hatte sofort Lust, das auszuprobieren.

O. M.-S.: Ich hatte von Emily gehört, dass der Kurs cool ist und auch eine Aktivität, mit der man den Sommer füllen kann.

IAM: Was ist denn für die Oberschwäbische Musikwoche in Bonlanden charakteristisch, und was für die Orchesterwochen in Eschwege oder in Buchenau?


E. M.-S.: Das Besondere am Kurs in Bonlanden ist, dass man ein Theaterstück aufführt. Man hat diese Abwechslung zwischen dem Musikmachen – Orchester und Chor – und dem Theaterspiel. Die Woche in Bonlanden ist zudem für Jüngere; ich war zum ersten Mal mit neun Jahren dort. Damals fand ich es megacool, so viele verschiedene Sachen in einer Woche zu machen. Wir haben unter anderem Bühnenbilder gemalt. Alles selber zu machen, natürlich angeleitet, das ist das Besondere an dieser Woche.

O. M.-S.: Es sind die verschiedenen Arbeitsgemeinschaften, die besonders sind. Bei einem der Kurse in Bonlanden habe ich sogar meine eigene Arbeitsgemeinschaft eingeführt, eine Film-AG. Darin haben wir einen kleinen Film gedreht, der in das Theaterstück eingeflossen ist.

IAM: Ein Film im Theaterstück?

O. M.-S.: Ja, eine Szene, die wir als Video gedreht haben.

E. M.-S.: Wir wurden wirklich dazu animiert, kreativ zu werden.

IAM: Wie muss man sich den Ablauf eines solchen Kurses vorstellen?

E. M.-S.: Es gibt einen Tagesplan, der jeden Tag ausgehängt wird. Man hat Orchesterproben, Stimmproben, Mittagessen, eine längere Mittagspause, Chor und auch besondere Sachen: Es gab z. B. einen ‚Bunten Abend‘, ein Lagerfeuer und eine Schnitzeljagd, an der man in verschiedenen Gruppen teilgenommen hat.

IAM: Es haben sich also Traditionen herausgebildet?

E. M.-S.: Ja, es gab dort viele Traditionen. Von den genannten fixen Punkten bis hin zum Singen vor dem Essen. Der Kurs ist toll gelegen in diesem Kloster und man konnte sich auf dem Gelände relativ frei bewegen.

IAM: Gibt es viel Freizeit, oder ist alles relativ durchgetaktet?

E. M.-S.: Der Tagesablauf ist schon recht durchgetaktet, aber mittags hatte man Zeit. Abends hat man versucht, die Bettgehzeiten so gut wie möglich zu umgehen (lacht).

IAM: Wie kann man sich die Arbeitsgemeinschaften vorstellen?

O. M.-S.: Es waren Arbeitsgemeinschaften rund um das Theaterstück. Man konnte sich aussuchen, was einem gelegen hat; ob man als Schauspieler, beim Bühnenbild oder bei den Requisiten mitmachen wollte.

IAM: Können Sie sich an ein Theaterstück erinnern, das Sie besonders gut fanden?

O. M.-S.: Ich kann mich an „Herr der Diebe“ erinnern, das fand ich toll; oder auch an „Der kleine Lord“.

E. M.-S.: Es waren immer irgendwelche Roman- oder Filmvorlagen, aus denen das Theaterstück gebastelt wurde.

IAM: …und passend dazu Musik ausgesucht wurde?


E. M.-S.: Genau, es wurde passend dazu Musik ausgesucht und ab und zu etwas für den Chor umgedichtet. Einmal haben wir für „Das fliegende Klassenzimmer“ eine der berühmten Melodien aus der Oper Carmen auf einen anderen Text gesungen.

IAM: Wie wird beim Abschlusskonzert dann alles zusammengefügt?

E. M.-S.:
Wir hatten einen Erzähler, der die Szenen miteinander verbunden hat, dann Schauspiel-Szenen und dazwischen die Nummern von Orchester und Chor.

O. M.-S.:
Die Abschlusskonzerte sind immer toll, weil sie so vielfältig sind. Bei der Orchesterwoche in Buchenau ist es auch für das Publikum interessant, das vielfältige Programm zu erleben.

E. M.-S.: …und zu sehen, was dort in einer Woche entstehen kann.

IAM: Wie unterscheidet sich überhaupt die Woche in Buchenau von der in Bonlanden – abgesehen davon, dass sich letztere an eine jüngere Zielgruppe richtet?

E. M.-S.: In Buchenau gibt es ein richtiges öffentliches Abschlusskonzert (das in Bad Hersfeld stattfindet) und kein Theaterstück wie in Bonlanden. Der Fokus liegt ganz klar auf dem Orchester, aber es gibt auch den Chor und das ist eine schöne Abwechslung und auch ein Highlight.

IAM: Macht der Chor auch eine Aufführung?

E. M.-S.: Ja, man macht alles, man macht Orchester und man macht Chor. Meistens gibt es auch noch Stücke für Bläser und Streicher getrennt und ein Solo-Konzert, in der Regel mit dem Kammerorchester.
Zudem dürfen wir jetzt länger aufbleiben, es gibt keine Bettgehzeiten mehr (lacht).

IAM: Wie war das früher? Da gingen die Dozenten herum und haben geguckt, ob jeder im Bett liegt?


E. M.-S.: Genau. Das ist eine sehr präsente Erinnerung an die früheren Musikfreizeiten mit doch recht strengen Bettgehzeiten (lacht). Dass es sich um junge Erwachsene handelt, macht alles, was die Freizeitgestaltung angeht, wesentlich freier. Auch von der Stimmung her ist das anders.

O. M.-S.: Man macht abends auch mal ‚Party‘. In Schloss Buchenau gibt es eine große Halle, in der wir proben und abends auch Freizeit verbringen können.

E. M.-S.: Das ist immer mit viel Musik verbunden. Die Dozenten spielen dann schon einmal zum Tanz auf. Das sind tolle Momente, wenn man anfängt, zu selbstgemachter Musik zu tanzen oder zu Jazz-Improvisationen von Leuten, die dafür talentiert sind. Es ist auf jeden Fall immer Musik dabei, egal zu welcher Uhrzeit.

IAM: An welches musikalische Erlebnis denken Sie besonders gerne zurück?

E. M.-S.: (überlegt) Ich glaube, es gibt nicht ein einzelnes Erlebnis, das heraussticht. Es ist eher dieses Gefühl beim Abschlusskonzert, wie viel man in einer Woche schaffen, wie man als Gruppe zusammenwachsen, und dass man – wie jetzt in Buchenau – relativ komplexe Werke erarbeiten kann. In Buchenau ist es ganz gezielt so gemacht, dass man die Werke nicht vorher schon lernen kann. Man arbeitet vor Ort daran und am Ende ist das immer eine tolle Erfahrung.

O. M.-S.: Was ich in Buchenau immer toll finde, ist der ‚Englische Abend‘. Da spielt man Stücke im Orchester vom Blatt. Es ist noch einmal eine andere Stimmung als in der Probe. Man spielt Stücke, die einem Spaß machen. Viele Leute machen sich auch schon ein Bier auf.
Es ist, wie Emily gesagt hat, immer viel Musik dabei, aber in ganz verschiedenen Formen: Es gibt einerseits die strengere Probenarbeit, die immer auch Spaß macht, bei der man aber auf das Konzert hinarbeitet und die Dozenten schon einmal nervös werden und sagen: „Das muss jetzt funktionieren!“. Andererseits gibt es dieses entspannte Musizieren, so wie bei dem Blattspielabend; der gehört zu den Traditionen auf dem Kurs.

E. M.-S.: Buchenau hat sehr viele Traditionen. Der ‚Bunte Abend‘ ist so ein Fixpunkt. Es werden die meisten Mittagspausen darauf verwendet, dass man ihn vorbereitet – mit Sketchen, musikalischen Einlagen, Spielen etc. Der wird auch immer sehr ernst genommen (lacht).

IAM: Können Sie ein Beispiel nennen, was auf so einem ‚Bunten Abend‘ passieren kann?

E. M.-S.: Wir müssen Theaterstücke vorbereiten und werden dazu in Gruppen eingeteilt. Es gibt dann ein Thema oder irgendeine Vorgabe, aus der man ein Stück basteln soll. Diese Vorgaben können sehr lustig sein.

O. M.-S.: Vor allem in Buchenau, wo die Leute schon älter sind, kommen sehr kreative Sachen zustande. Einmal gab es ein sehr avantgardistisches Theaterstück…

E. M.-S.: Ja, so etwas Dadaistisches (lacht). Auch politischen Anspielungen gibt es…

IAM: Haben sich für Sie Kontakte oder sogar Freundschaften durch diese Kurse ergeben?

E. M.-S.: Auf jeden Fall.

O. M.-S.: Die Leute kommen ja aus ganz Deutschland. Wenn man sich am Ende der Woche verabschieden muss, weiß man, dass man sich für längere Zeit nicht mehr wiedersehen wird. Aber man bleibt in Kontakt und es werden immer wieder externe Treffen veranstaltet. Tatsächlich haben wir dieses Jahr ein Treffen von einer Freundesgruppe aus dem Kurs in Buchenau organisiert.

E. M.-S.: Es gibt viele, die jedes Jahr zu der Freizeit kommen. Deswegen sagt man, wenn man sich verabschiedet, auch nicht: „Bis nächstes Jahr!“, sondern: „Bis nächste Woche!“

IAM: Sie sind im Grunde mit diesen Orchesterwochen großgeworden. Wie haben die Kurse zu Ihrer musikalischen und menschlichen Entwicklung beigetragen?

E. M.-S.: Die Musikfreizeiten zu machen, war ein musikalisches Highlight und eine tolle Ergänzung zu dem, was man musikalisch sonst gemacht hat. Menschlich fand ich es immer toll, dass man Leute in so unterschiedlichem Alter trifft; die Altersspanne ist relativ groß. ‚Hochgezogen‘ zu werden durch die Älteren oder dann die anderen ‚hochzuziehen‘, wenn man eine der Älteren ist, und zu schauen, dass die ‚Kleinen‘ sich zurechtfinden – ich glaube, davon kann man menschlich sehr viel lernen.

O. M.-S.: Dadurch, dass man so viel miteinander zusammen ist, ist die Woche auch in ‚sozialer‘ Hinsicht sehr intensiv. Man kann sich natürlich zurückziehen, aber die meiste Zeit wird man unter Leuten sein und sich mit ihnen auseinandersetzen. Gerade bei der Freizeit für Jüngere in Bonlanden ist es besonders wichtig, dass man abends im Zimmer miteinander Quatsch machen kann. Am Ende der Woche wird man mit seinen Zimmergenossen ziemlich gut befreundet sein, denn man hat keine andere Wahl, als mit ihnen recht nah in Kontakt zu treten. In Buchenau würde ich sagen, dass es ziemlich egal ist, mit wem man ein Zimmer teilt, weil man eigentlich immer woanders ist und bloß im Zimmer schläft. Das ist eher funktional.

E. M.-S.: Bei den Jüngeren spielen die Zimmer sozial eine wichtigere Rolle. Die Zimmergenossen sind die erste Anlaufstelle. Man musste sein Zimmer auch ordentlich halten. Wir hatten sowohl in Bonlanden als auch in Eschwege Zimmerkontrollen, bei denen Preise ausgeschrieben wurden, wenn man besonders ordentlich war.

O. M.-S.:
Man hat für die Zimmerkontrollen besondere Vorführungen gemacht. Ein Mitbewohner hatte immer eine Riesenpackung Süßigkeiten dabei, aus denen wir Bilder geformt haben. Wenn die Zimmerkontrollen kamen, hatte man alles schön dekoriert und bekam Punkte für die ‚Zimmerolympiade‘.

E. M.-S.: Diese Zimmerolympiade wurde auch immer sehr ernst genommen. Es gab Leute, die Dinge von Hause mitgenommen haben, um ihr Zimmer zu dekorieren.

IAM: Wenn Sie im Kontext des IAM-Jubiläums einen Wunsch für den IAM frei hätten, welcher könnte das sein.

E. M.-S.: Mein Wunsch ist, dass der IAM weiterhin so tolle Musikfreizeiten für Jugendliche anbietet und diese weiterhin Zuspruch finden; auch dass die Dozenten erhalten bleiben. Wir haben immer tolle Dozenten gehabt, die wirklich wissen, wie man so eine Woche gestaltet – sowohl musikalisch als auch menschlich.

O. M.-S.: Dass der Ansturm nicht abflacht und die Traditionen nicht verloren gehen. Natürlich hoffe ich auch, dass es weiterhin Gelder gibt, damit die Freizeiten für möglichst viele Kinder und Jugendliche finanzierbar bleiben.

IAM: Wenn ich noch einmal nach der musikalischen Entwicklung fragen darf – Oscar, Sie werden jetzt Geige studieren – haben diese Orchesterwochen darauf Einfluss gehabt?

O. M.-S.:
Ich spiele auch während des Jahres im Orchester, aber diese Wochen im Sommer waren immer eine besonders intensive Zeit. Die Dozenten haben einen sehr inspiriert. Ich habe dieses Jahr in Buchenau auch die Möglichkeit, ein Solo-Konzert zu spielen. Die Orchesterwochen haben auf jeden Fall einen Einfluss auf meinen Werdegang gehabt, weil man dabei so viel Austausch in Musikerkreisen hat.

IAM: Noch ganz zum Schluss: Welches besondere Potential hat Musik und wie wird das bei IAM-Kursen deutlich?

E. M.-S.:
Auf jeden Fall hat sie das Potential, Menschen zu verbinden. Am ersten Tag von so einer Woche kennen sich viele noch gar nicht. Am Ende der Woche ist man eine total enge Gruppe. Man kennt fast jeden und es gibt ein richtig tolles Gruppengefühl. Ich glaube, das schafft schon die Musik. Musikmachen verbindet.

O. M.-S.: Man hat eine gemeinsame Leidenschaft und das ist etwas Verbindendes. Man kann über die Stücke sprechen, die man während der Woche einstudiert, darüber schwärmen oder sich darüber beschweren. Musik ist etwas, das jeden so erfüllt… Bei diesen Schülermusikwochen gibt es wirklich niemanden, der nicht begeistert ist. Es ist toll, dass man diese Begeisterung teilt. Es verbindet einen viel schneller, wenn man diese Gemeinsamkeit hat.

(Das Gespräch wurde von Gabriela Lendle geführt und aufgezeichnet.)

1 Es handelt sich um die folgenden IAM-Kurse: die Oberschwäbische SchülerMusikwoche im Kloster Bonlanden (findet immer im Sommer statt), die Junge Eschweger Philharmonie (Orchesterwoche, die immer in der Woche vor Ostern stattfindet) und die Junge Hessische Philharmonie auf Schloss Buchenau (Orchesterwoche in den Sommerferien).